Der Weise

 

Er sitzt da und hört mir zu,

als gäb’ es nichts sonst auf der Welt.

Er hat Zeit, ist selbst die Ruh’.

Ein Lächeln sein Gesicht erhellt.

 

Er urteilt nicht, stellt seine Fragen,

um meine Sicht gut zu versteh’n,

die Zweifel, Sorgen, die mich plagen

in einem ander’n Licht zu seh’n.

 

Er lässt offen, was er denkt.

Es geht hier nur um mich,

wenn er den Blick auf’s Wahre lenkt,

worauf es ankommt unter’m Strich.

 

Er bremst, wenn ich voreilig schliesse,

was mir klar und recht erscheint.

Wünscht, dass ich mir Zeit noch liesse.

Mir anhöre, wie’s der and’re meint.

 

«Denke an die lange Sicht! Verfolg’ ein hohes Ziel! Nicht das was schnell Erfolg verspricht, ist das, was zählt in diesem Spiel!»

 

Er mahnt mich zur Gelassenheit,

wenn Zeiten stürmisch sind.

«Sei wach, zur klaren Tat bereit!

Nutz’ den frisch erwachten Wind!»

 

Wenn es eng wird, soll ich warten.

Druck verhärtet nur.

Geduld hat da die bess’ren Karten.

Sie führt dich auf die rechte Spur.

 

Was Axt und Pickel niemals spalten,

löst Wasser auf mit stetem Tropf.

Was Liebe schafft, wird länger halten,

als Werke aus Verstand und Kopf.

 

Ich stehe auf und fühl‘ mich leicht.

Er gab mir nicht die Lösung vor,

und doch hat er sein Ziel erreicht.

Er lieh mir nur sein Herz und Ohr!

 

Tony Ettlin

 

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